Expertenwissen zu Digitalisierung & Automatisierung von Geschäftsprozessen
Themen: KI und Machine Learning | E-Invoicing
In der Welt der Rechnungsverarbeitung spielt die Beleglesung seit jeher eine zentrale Rolle – allerdings auch eine besonders fehleranfällige. Manuelle Erfassung, OCR-Prozesse und regelbasierte Logiken stoßen oft an ihre Grenzen, insbesondere bei unstrukturierten oder inkonsistenten Dokumenten. Genau hier kann Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere in Form von Generativer KI (GenAI) und Large Language Models (LLMs), ihr volles Potenzial entfalten. Doch was passiert, wenn die E-Rechnung – und damit maschinenlesbare Rechnungen – verpflichtend wird? Macht das den Einsatz von KI überflüssig?
Die Antwort ist ein klares Nein – und das aus mehreren guten Gründen.
Zwar setzen immer mehr Länder auf die verpflichtende Einführung der E-Rechnung, etwa Italien, Frankreich, Polen, Belgien oder Deutschland. Doch diese Regelungen sind keineswegs lückenlos. In Deutschland etwa sind B2C-Rechnungen (also Rechnungen an Endverbraucher) bislang ausgenommen. Auch Kleinstbeträge unter 250 Euro fallen nicht unter die E-Rechnungspflicht. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Länder weltweit, in denen E-Rechnungen weder Pflicht sind noch entsprechende Initiativen in Planung sind. In solchen Fällen bleibt der klassische Beleg – ob als PDF oder gescanntes Dokument – weiterhin Standard. Genau hier bleibt KI-gestütztes Document Capture unerlässlich.
Selbst wenn eine Rechnung vollständig maschinenlesbar vorliegt, ist die Erfassung der Daten nur der erste Schritt. In der Praxis fehlen oft wichtige Zusatzinformationen auf der Rechnung selbst – etwa für die korrekte Kontierung, Budgetzuordnung oder die Einordnung in komplexe Einkaufsprozesse. Hier kommt Kontextwissen ins Spiel: In welchem Projekt wurde die Leistung erbracht? Zu welcher Kostenstelle gehört sie? Wie ist die buchhalterische Behandlung? Genau diese Aufgaben sind prädestiniert für KI-gestützte Lösungen. LLMs können aus internen Unternehmensdaten, Historien und externem Kontext sinnvolle Zuordnungen und Vorschläge generieren – automatisiert, lernfähig und individuell.
Ein weiterer Aspekt: Der Purchase-to-Pay-Prozess (P2P) umfasst deutlich mehr Dokumententypen als nur Rechnungen. Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Zahlungsavis oder Gutschriften – viele dieser Dokumente sind nicht standardisiert und unterliegen keinen E-Rechnungspflichten. Auch hier ist der „Capture“-Schritt – also das intelligente Erfassen und Verstehen – weiterhin essenziell. KI-Systeme, die sich auf vielfältige Dokumenttypen anpassen und kontinuierlich lernen, schaffen hier entscheidende Effizienzgewinne.
Die Einführung der E-Rechnung ist ein bedeutender Schritt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung. Sie eliminiert viele manuelle Fehlerquellen und beschleunigt den Datenaustausch. Doch sie ersetzt nicht den ganzheitlichen Ansatz, den KI in der Rechnungsverarbeitung verfolgt. Vielmehr ergänzen sich beide Technologien ideal: Während die E-Rechnung eine saubere Datenbasis schafft, sorgt KI dafür, dass auch der Rest des Prozesses intelligent, kontextbezogen und autonom abläuft.
Das gemeinsame Ziel bleibt: operative Prozesse im Finanzbereich – wie die Rechnungsverarbeitung – so weit wie möglich zu automatisieren. Beschäftigte sollen entlastet werden und sich auf strategischere, wertschöpfendere Tätigkeiten konzentrieren können. In dieser Vision spielt KI eine Schlüsselrolle – auch (und gerade) in einer Welt der E-Rechnung.